Judendenkmal

Denkmal für die ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Westoverledingen

Standort: Blinkstraße (Ecke Bahnhofstraße) in Ihrhove 

Einweihung: 9. November 2019

Der Holocaust und die Nazi-Zeit stellen das düsterste Kapitel der deutschen Geschichte dar. Die systematische Vernichtung von sechs Millionen Juden erfüllt uns auch Jahrzehnte später noch mit Grauen und Unverständnis.

Auch in Westoverledingen hat es eine jüdische Bevölkerung gegeben. Diese Juden wohnten allerdings nur in der Ortschaft Ihrhove. Nach dem Bau der Eisenbahnstrecke Groningen-Leer und des Bahnhofes in Ihrhove (1854) ließen sich jüdische Bürger hier nieder, um Handel zu treiben. Sie wurden Teil der Dorfgemeinschaft und ihre Kinder saßen in der Dorfschule in einer Bank mit Kindern anderer Konfessionen.

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg siedelten viele der Juden, die mit dem Viehhandel zu tun hatten, nach Leer um, da dort die Viehhofanlagen entstanden waren. Sie versprachen sich dort bessere berufliche Möglichkeiten und auch die jüdische Gemeinde und die jüdische Schule waren für sie wichtige Anziehungspunkte. Im September 1933 verließ die letzte jüdische Familie Ihrhove und wanderte in die Niederlande aus. Eine Judenverfolgung in der Vorkriegs- und Kriegszeit hat es in Ihrhove und Westoverledingen nach heutigem Stand des Wissens nicht gegeben.

Trotzdem zeugen die Lebensgeschichten der Ihrhover Juden vom erstarkenden Antisemitismus, von Schikanen im Alltag sowie von Gewalttaten während der Reichspogromnacht 1938 und darüber hinaus. Von 13 jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern können wir die Lebenswege bis zum Tode im Holocaust nachvollziehen. Transportlisten zeugen von der Deportation in den Osten. In Viehwaggons wurden die Menschen mit Zügen in die Konzentrations- und Vernichtungslager gebracht. In den Akten der Lager sind ihre Einlieferung und ihr Tod nachzulesen. Manche von ihnen wurden gleich nach der Ankunft umgebracht.

Zunächst hatte die Recherche des Regionalhistorikers Hermann Adams ergeben, dass es sich um 14 jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger handelte. Erst kurz vor Einweihung des Denkmals stellte sich heraus, dass Max Mindus den Holocaust überlebt hatte.

Es erfüllt noch heute mit Grauen und Betroffenheit, dass Menschen aus Ihrhove im Holocaust ermordet worden sind. Menschen, die ehemalige Nachbarn, Freunde und Geschäftspartner waren, sind in den KZs der Nationalsozialisten umgebracht worden.

Dies geschah in einer Zeit, in der Freiheit und persönliche Rechte keinen Wert hatten. Einer Zeit, in der Gewalt, Unterdrückung und Unrecht bis in die hintersten Ecken der Gesellschaft hineinwirkten. Minderheiten waren besonders stark betroffen. Neben den Juden haben auch Homosexuelle, Behinderte, Sinti und Roma sowie politische Gegner des Regimes stark gelitten. Viele bekamen Haftstrafen, wurden ebenfalls ermordet, gefoltert, geschlagen und denunziert. Umso höher ist ihr mutiger Widerstand zu bewerten.

Die Gemeinde Westoverledingen möchte mit diesem Denkmal einen Beitrag dazu leisten, dass die Erinnerung wach gehalten wird. Nie wieder sollen in unserer Gesellschaft und bei uns vor Ort Minderheiten ausgeschlossen und verfolgt werden. Deshalb wollen wir uns für unsere freiheitliche und demokratische Grundordnung einsetzen und dazu beitragen, dass wir alle in Frieden miteinander leben können. Lehren aus unserer eigenen Geschichte zu ziehen, gehört für uns selbstverständlich dazu. Um dies auch öffentlich zu zeigen, steht in unmittelbarer Bahnhofsnähe ein Denkmal, das an die ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger erinnert. Auf der zugehörigen Gedenktafel steht zu lesen:

 

IM GEDENKEN AN DIE 13 JÜDISCHEN MITBÜRGER, DIE BIS 1933 IN IHRHOVE GELEBT HABEN UND IM HOLOCAUST UMGEBRACHT WURDEN.
 

IM GEDENKEN AN DIE MENSCHEN, DEREN WEG IN DEN DEPORTATIONSZÜGEN DURCH UNSERE GEMEINDE FÜHRTE.
 

IM GEDENKEN AN ALLE OPFER VON VERFOLGUNG UND ENTRECHTUNG WÄHREND DER NATIONALSOZIALISTISCHEN GEWALTHERRSCHAFT.

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ZUKUNFT BRAUCHT ERINNERUNG

 

 

 

Wir gedenken:

Sophie Benjamin (* 6.11.1884, † 16.05.1944 in Auschwitz-Birkenau)

Hartog Cohen (* 25.06.1878, † 19.11.1942 in Auschwitz)

Esther Cohen (* 11.01.1881, † 26.03.1943 in Sobibor)

Sara (Else) Isaak (* 21.10.1985, † 01.10.1944, im KZ Stutthoff)

Jakob Isaak, später Sachs (* 06.04. 1898, † 15.04.1942 in Wunstorf)

Israel Mindus (* 25.03.1890, † 18.08.1942 in Riga)

Hinderika Mindus (* 22.08.1884, † 18.08.1942 in Riga)

Zaartje de Jonge, geb. de Levie (* 19.12.1880, † 16.05.1944 in Auschwitz-Birkenau)

Gustav Nerden (18.02.1905, † 28.02.1943 in Auschwitz)

Esther de Levie (* 14.01.1866, † 18.11.1944 in Theresienstadt)

Esther de Levie (* 24.06.1894, † 23.04.1943 in Sobibor)

Geertje de Levie (* 29.09.1862, † 17.01.1942 im Ghetto Litzmannstadt)

Abraham Nerden (* 13. Juli 1879, † 23.04.1943 in Sobibor)

 

Zum Hintergrund:

Lange war so gut wie nichts über die jüdische Bevölkerung vor dem Zweiten Weltkrieg bekannt. Dies änderte sich erst, als der Regionalhistoriker Hermann Adams Ende der 1990er Jahre damit begann, nach Spuren jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger in Westoverledingen zu suchen. Damit wollte er auch herausfinden, welches Schicksal diese Menschen im Holocaust ereilt hatte. Mit den Jahren tauchten immer neue Informationen auf. Vor diesem Hintergrund konnte im Jahr 2017 das Buch „Geboren in Ihrhove, umgekommen im Holocaust: Lebens- und Todeswege jüdischer Mitbürger“ entstehen. Nachzulesen sind darin die Geschichten von 13 jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die im Holocaust ermordet worden sind. Die meisten von Ihnen wurden auch in Ihrhove geboren. Darüber hinaus erfährt man etwas über die Familien und das Unrecht und die Gewalt in der Zeit des Nationalsozialismus.

Die meisten von ihnen zogen schon vor dem Beginn der Nazi-Zeit 1933 aus Ihrhove fort. Einige zogen nach Leer, wo es eine größere jüdische Gemeinschaft gab. Andere zogen vermutlich unfreiwillig in die Niederlande und waren gezwungen, Arbeit an einem anderen Ort aufzunehmen.

In den Jahren 2017 bis 2019 beschäftigte sich die Politik der Gemeinde Westoverledingen intensiv mit der Geschichte der ehemaligen jüdischen Mitbürger. In Zusammenarbeit mit dem Schulzentrum Collhusen wurden Lesungen veranstaltet, um das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen. Diese richteten sich einerseits an die Schülerinnen und Schüler und andererseits an Bürgerinnen und Bürger.

Unter der Überschrift „Zukunft braucht Erinnerung“ fanden weitere Veranstaltungen statt, wie z.B. eine Ausstellung mit Druckgrafiken jüdischer Künstler aus dem frühen 20. Jahrhundert. Die Bilder wurden von dem Esenser Künstler und Sammler Gerd Rokahr zur Verfügung gestellt. Durch die Ausstellung im Rathaus wurde daran erinnert, dass das Verbot jüdischer Kunst im Nationalsozialismus dazu geführt hat, dass die meisten der Künstler bis heute unbekannt geblieben sind.

Das Denkmal:

Im Sommer 2019 beschloss der Rat der Gemeinde Westoverledingen ein Denkmal zu errichten, das an die ehemaligen jüdischen Mitbürger sowie die Grausamkeiten und das Unrecht des Nationalsozialismus erinnert. Das Denkmal wurde vom Leeraner Bildhauer Gerd Christmann geschaffen. Die dreizehn lebensgroßen Betonstelen erinnern an die im Holocaust ermordeten Juden. Sie tragen ihre Namen. Die Stelen sind in einem rechteckigen Feld angeordnet, das an die Viehwaggons erinnert, in denen die Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager im Osten deportiert wurden. Viele der Züge, die aus den Niederlanden kamen, fuhren durch Ihrhove. Oft standen sie nachts am Bahnhof und die Menschen in den Waggons riefen um Hilfe.

Die rechteckige Fläche ist eingefasst von einem runden Feld mit zerbrochenen Baumaterialien. Raue Wasserbetonsteine, abgestoßene Klinker, zerbrochene Dachziegel, Glassplitter und verbogenes Eisen sind Sinnbild für die Zeit des Nationalsozialismus, in der moralische Werte und freiheitliche Rechte zerstört wurden durch Gewalt, Unrecht und Grausamkeit. Die zerbrochenen Materialien sollen daran erinnern, was damals gesellschaftlich zerstört wurde. Das Denkmal soll Mahnmal zugleich sein, um uns alle dazu aufzurufen, die demokratische Grundordnung zu verteidigen, die unser aller Freiheit schützt.